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Klimawandel: Ziele verschieben? Warum Kretschmer falsch liegt


Kretschmers Klima-Verschiebespiel
Warum fünf Jahre uns teuer zu stehen kommen


06.06.2025Lesedauer: 5 Min.
Windräder im Nebel bei Sonnenaufgang: Symbol für den notwendigen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien.Vergrößern des Bildes
Windräder im Nebel bei Sonnenaufgang: Symbol für den notwendigen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien. (Quelle: Achille Abboud/imago-images-bilder)
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Wer behauptet, es hilft der Wirtschaft, die Klimaziele nach hinten zu verschieben, irrt. Das Gegenteil ist der Fall, sagt unsere Kolumnistin.

Ich habe manchmal keine Lust, meine Wohnung aufzuräumen – und ich habe dafür meist gute Gründe. Das schöne Wetter lockt mich nach draußen oder ich arbeite zu viel, nach einem langen Tag erscheint es mir als zu anstrengend oder ich bin zu müde. Das Schöne am Erwachsensein: Ich kann einfach beschließen, dass es okay ist, wenn ich erst ein paar Tage später für Ordnung sorge. Niemand kommt dadurch zu Schaden. Manche Politiker scheinen anzunehmen, sie könnten mit den Klimazielen genauso verfahren.

Dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zufolge reicht es, wenn Deutschland 2050 klimaneutral wird, also keine zusätzlichen Treibhausgase mehr ausstößt. Laut Klimaschutzgesetz ist das für 2045 geplant und findet sich mit Bezug darauf, wie die 500 Milliarden Euro des neuen Sondervermögens eingesetzt werden können, als Formulierung nun sogar im Grundgesetz.

Die Ziele nach hinten zu schieben heißt, sie aufzugeben

Kretschmer aber hält das Tempo für den Ausbau der erneuerbaren Energien für zu hoch: "Geschwindigkeit geht oft in die Preise, trotzdem wollen wir bei allen Klimazielen immer die Ersten sein", kritisiert er im Interview mit der "Wirtschaftswoche". "Ein übereilter Braunkohleausstieg vor 2038 ist dafür nur ein Beispiel. Das ist aus meiner Sicht der falsche Weg." Geht es nach Kretschmer, kommt es für das Klima auf fünf Jahre mehr oder weniger nicht an.

Für die Wirtschaft aber mache es den entscheidenden Unterschied: Energiesicherheit und niedrige Energiepreise gingen vor, um in der Wirtschaft wieder mehr Wachstum zu erreichen. Er will daher die fossilen Energieträger Kohle, Gas und Öl länger nutzen. Doch der Ministerpräsident erliegt einem Irrtum: Fünf Jahre machen für die Klimakrise einen großen Unterschied. Die Ziele nach hinten zu schieben heißt, sie aufzugeben. Und das wird in wenigen Jahren viel größere Probleme schaffen.

Kretschmer geht dabei von mindestens drei Fehlannahmen aus.

1. "Streber Deutschland übereilt die Klimaziele"

Das ist schlichtweg falsch. Im Pariser Klimaabkommen von 2015 wurde vereinbart, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, in jedem Fall aber auf "deutlich unter 2 Grad". Und das aus gutem Grund: Mit jedem Zehntelgrad werden die Lebensbedingungen für uns Menschen auf der Erde schwieriger. Schon im vergangenen Jahr, als erstmals die 1,5-Grad-Marke durchbrochen wurde, haben wir allein in Deutschland vier Hochwasser erlebt. Werden 1,5 Grad dauerhaft überschritten, wird es immer wahrscheinlicher, klimatische Kipppunkte auszulösen, was die Erderhitzung weiter befeuert und unumkehrbare Konsequenzen hat.

Unterschiedliche Untersuchungen schauen sich regelmäßig an, inwiefern die Länder der Welt die Ziele einhalten, und das Ergebnis ist eindeutig: Kein Land tut genug. Der Climate Change Performance Index vergleicht die Klimabilanz von 63 Ländern und der EU, die zusammen für über 90 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Um zu verdeutlichen, welche Lücke es zwischen Ziel und Umsetzung gibt, lässt der Report im Ranking symbolisch die ersten drei Plätze frei. Deutschland landet auf Platz 16, seine Leistung wird als "mittelmäßig" bewertet. Vor Kurzem warnte der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung, Deutschland werde seine Klimaziele für 2030 zwar voraussichtlich erreichen – aber nicht aufgrund ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen, sondern wegen der schwächelnden Wirtschaft der vergangenen Jahre. Das Ziel, 2045 klimaneutral zu sein, würde Deutschland demnach ohnehin sehr deutlich verfehlen, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Deutschland muss also schneller machen – und nicht langsamer.

2. "Der Ausbau erneuerbarer Energien ist zu teuer"

Die aktuell hohen Energiekosten über Steuersenkungen zu drücken, wie die Bundesregierung es plant, hält Kretschmer für kurzsichtig. Das Geld fehle dann an anderer Stelle. "Wenn Steuern reduziert werden, kostet uns das Finanzkraft. Deshalb kann so eine Senkung vielleicht temporär funktionieren, sie ist aber keine dauerhafte Lösung." Da hat Kretschmer einen Punkt. Einer Untersuchung des Instituts für Wirtschaft (IW) zufolge sind die geplanten Senkungen zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber sie sind teuer und können daher nur kurzfristig nützen. "Letztlich verschiebt die Politik die Kosten nur von den Verbrauchern in den Bundeshaushalt — am Ende kommt also der Steuerzahler dafür auf." Der Studienautor und Energieökonom Thilo Schaefer folgert daraus aber das Gegenteil von Kretschmer: "Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, Speicher und regelbare Kraftwerke." Das Ausbautempo müsse aber zur Entwicklung der Nachfrage passen. Wenn das Zusammenspiel effizient gelinge und auf teure Lösungen wie Erdkabel, wo immer möglich, verzichtet werde, gingen die Preise nachhaltig nach unten.

Seit einigen Jahren ist Wind- und Solarenergie deutlich günstiger als Strom aus fossilen Energieträgern. Hätten Peter Altmaier und Sigmar Gabriel nicht die Förderungen für den Ausbau von Solarenergie gekappt und den Ausbau von Windenergie erschwert, könnte der Strom in Deutschland Studien zufolge bereits deutlich günstiger sein. Auch die Sächsische Energieagentur (SAENA), ein Unternehmen des Freistaates, betont die Potenziale der erneuerbaren Energien – und widerspricht damit ihrem Ministerpräsidenten, der die Energiewende vor wenigen Wochen als gescheitert bezeichnete.

3. "Es macht keinen großen Unterschied, ob Deutschland 2045 oder 2050 klimaneutral wird"

Es geht nicht darum, wann Länder aufhören, Treibhausgase auszustoßen, sondern wie viele Emissionen bis 2045 noch ausgestoßen werden. Die Restmenge, die zur Verfügung steht, um eine bestimmte Temperaturmarke nicht zu überschreiten, kann mit einem Gasspeicher verglichen werden. Im Zusammenhang mit Klimaschutz mag das etwas um die Ecke gedacht sein, aber es ist ein Vergleich, der Michael Kretschmer einleuchten dürfte: Wenn ich nur eine bestimmte Menge an Gas zur Verfügung habe, um durch den Winter zu kommen, kann ich mich entscheiden, mein Haus ab Oktober jeden Tag auf 26 Grad zu heizen. Dann reicht das Gas aber nur bis in den Januar. Oder ich kann mich entscheiden, das Thermostat herunterzufahren und meine Wohnräume nur auf 18 bis 20 Grad zu heizen. Das verbraucht entsprechend weniger Gas, sodass ich mit der gleichen Menge, wenn nötig, bis in den April hinein heizen kann, falls doch noch mal ein paar kalte Tage und Nächte kommen.

Das heißt: Deutschland kann seine Klimaziele nicht beliebig verschieben. Wenn Kretschmer länger Emissionen ausstoßen will, müssten sie heute noch stärker reduziert werden als ohnehin schon. Wenn er die Treibhausgase heute weniger stark herunterfahren will, dann heißt das, dass Deutschland früher ganz damit aufhören müsste. Es ist nicht möglich, die Klimaziele einfach zu verschieben. Seinen Anteil, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, hat Deutschland bereits überschritten.

Daher ist es unverantwortlich, einen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Klimaschutz herbeizureden. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft wird essenziell davon abhängen, ob es rechtzeitig gelingt, sie klimaneutral umzubauen. Doch dafür brauchen die Unternehmen politische Planungs- und Investitionssicherheit. Jetzt umzuschwenken und zu sagen: "Lasst euch ruhig mehr Zeit", bedeutet das Gegenteil davon. Das sehen offenbar auch rund 150 europäische Unternehmen und Investoren so. In einem offenen Brief forderten sie Ende Mai von der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um mindestens 90 Prozent zu reduzieren. "Ein robustes Klimaziel und die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften werden die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber Schocks sowie die Energiesicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern", argumentieren die Unterzeichner. Darunter die Otto-Gruppe und SAP.

Natürlich ist es schwerer, die Energiewende in Deutschland zu wuppen, als meine Wohnung aufzuräumen. Und die Konsequenzen im Fall der Energiewende sind deutlich dramatischer. Dennoch sollte für beides gelten: Aufschieben ist keine Option.

Verwendete Quellen

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