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Aktienanalysten: Risiko für Anleger – Warum Ratings oft irreführend sind


Analysten im Blindflug
Warum ihre Kursziele für Anleger oft wertlos sind


06.06.2025Lesedauer: 6 Min.
Finanzprofi analysiert AktienkurseVergrößern des Bildes
Finanzprofi analysiert Aktienkurse: Analysten hängen mit ihren Ratings oft den realen Kursentwicklungen hinterher. (Quelle: Jacob Wackerhausen)
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Aktienanalysten liefern oft wenig verlässliche Prognosen für die Zukunft. Wie Anleger besser investieren und worauf es an der Börse wirklich ankommt.

Als Anlegerin oder Anleger verfolgen Sie möglicherweise die Ratings von Analysten zu bestimmten Aktien. So schreibt beispielsweise Mark Delaney, Analyst bei Goldman Sachs, über ein bei Anlegern beliebtes US-Unternehmen und setzt das Kursziel auf 320 Dollar. Ein Kollege von ihm, Edison Yu von der Deutschen Bank, sieht das ähnlich, stuft das Kursziel allerdings viel höher ein – auf 375 Dollar. Ein dritter Analyst, Ryan Brinkman von JPMorgan, ist der Meinung, dass das Unternehmen zu viele Probleme habe, und passt deswegen das Kursziel nach unten an. Er setzt die Zielmarke auf 115 Dollar.

Drei Kursziele, drei Empfehlungen. Die Spanne reicht von 226 Prozent vom niedrigsten bis zum höchsten Kursziel. Die dahinterstehende Aktie heißt Tesla. Was können Anleger mit solchen Informationen anfangen? Ist es richtig, dem professionellen Rat gut bezahlter Berufsanalytiker zu vertrauen?

Ratings sind ein nachlaufender Indikator

Sich darauf zu verlassen, dass die ausgerufenen Kursziele oder überhaupt eines davon erreicht werden, ist wie ein Glücksspiel, bei dem Anleger im besten Fall nur mit einem Auge hinsehen sollten. Bei einer Diskrepanz, die in den Depots von Privatanlegern zu hohen Gewinnen, aber auch zu hohen Verlusten führen könnten, scheint es, dass Analysten im gleichen trüben Wasser fischen wie Privatanleger.

Tobias Krieg, Investmentcoach und Chefanalyst beim Lynx Broker, findet, dass man sich als Anleger Ratings komplett sparen könne. "Der Informationswert davon ist null. Er ist sogar unter null." Wer sich einmal die Mühe gemacht und sich Ratings im Zeitverlauf angeschaut habe, erkenne ein typisches Muster. "Sie können davon ausgehen, dass die Ratings, während es mit den Kursen abwärtsgeht, immer weiter gesenkt werden", erklärt Krieg. "Und nachdem die Kurse gestiegen sind, sind die Ratings immer weiter angehoben worden. Nachdem der Kurs erneut gefallen war, hat man die Ratings entsprechend wieder gesenkt. Und so weiter. Und so ist es bei jeder Aktie. Ratings sind ein nachlaufender Indikator und kein vorlaufender."

Und nicht nur das. Auch die Einschätzungen der Analysten gehen Krieg zufolge weit auseinander. Ebenso sei die Geschwindigkeit, mit der sich die Ratings ändern, teilweise komplett irrsinnig und ändere nichts an den intrinsischen Eigenschaften eines Unternehmens, also an den Fundamentaldaten, auf denen die eigentliche Unternehmensbewertung basieren sollte.

Analysten oft zu optimistisch

Martin Lück, Gründer der Research- und Beratungsfirma Macro Monkey, sagt, dass es für Anleger gefährlich sei, sich von den Kurszielen von Aktienanalysten leiten zu lassen. Aktienanalysten sähen vor allem die nächsten Quartalszahlen der Unternehmen und die seien jetzt noch ganz gut, so Lück im Interview mit dem "Spiegel".

"Hinzu kommt, dass die Analysten eng mit den Unternehmen kooperieren, deren Aktien sie bewerten. Die Unternehmen zahlen für Research und nehmen Analysten auf Roadshows mit, auf denen sie bei Investoren für ihre Aktien werben", so Lück. Seien Analysten zu kritisch, dürften sie nicht mehr mit, und ihre Auftraggeber, zumeist Banken, verlieren Aufträge, Umsatz und Gewinn. Daher seien Aktienanalysten meist viel zu positiv und erkennen ökonomische Probleme oft zu spät.

Der Markt, der alles weiß

Was also tun, wenn Aktienanalysten keine guten Ratgeber sind? Könnte man vielleicht davon ausgehen, dass Aktienkurse die Situation eines Unternehmens immer korrekt abbilden? Eine Theorie, die das bejaht, ist die von Ökonom Eugene Fama entwickelte Effizienzmarkthypothese (EMH). Sie besagt, dass der Markt immer richtig liegt. Demnach spiegeln die Kurse aller Wertpapiere jederzeit den Eigenwert eines Anlagegegenstands wider und alle Informationen sind sofort eingepreist.

Das heißt, die Kurse der an der Börse gehandelten Wertpapiere beinhalten das gesamte Wissen aller Marktteilnehmer und führen somit zu absolut korrekten Preisen. Aus dieser Theorie lässt sich ableiten, dass Unternehmen niemals falsch bewertet sein können und eine höhere Rendite als der Marktdurchschnitt nicht möglich ist.

Es gibt jedoch ein Problem, das als Grossman-Stiglitz-Paradoxon bezeichnet wird. Es besagt, dass es sich für niemanden (beispielsweise für Aktienanalysten) lohnt, Informationen zu sammeln, wenn alle Informationen im Preis enthalten sind. Ohne diesen Anreiz könnten die Preise aber nicht alle Informationen enthalten – ein Widerspruch.

Theorie besteht Praxistest nicht

Die Effizienzmarkthypothese wurde in der Forschung und Praxis vielfach kritisiert und in bestimmten Punkten widerlegt. Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Robert J. Shiller, nach dem auch das Shiller-KGV benannt ist, sowie Daniel Kahneman und Amos Tversky sagen, dass Anleger nicht immer rational handeln, sondern sich von Emotionen wie Gier, Angst oder Herdentrieb leiten lassen.

Shiller-KGV einfach erklärt

Das Shiller-KGV, auch CAPE Ratio genannt, ist eine Kennzahl, mit der man einschätzen kann, ob Aktien oder ganze Aktienmärkte gerade eher teuer oder günstig bewertet sind. Es funktioniert ähnlich wie das normale Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), geht aber einen Schritt weiter: Beim klassischen KGV wird der aktuelle Aktienkurs durch den Gewinn des letzten Jahres geteilt. Das Shiller-KGV nimmt dagegen den Durchschnitt der Gewinne der letzten zehn Jahre – und zwar inflationsbereinigt. Dadurch werden große Schwankungen, die durch Krisen oder Boomjahre entstehen, ausgeglichen. Damit zeigt das Shiller-KGV viel besser, wie teuer oder günstig eine Aktie oder ein Markt im historischen Vergleich wirklich ist.

Diese psychologischen Verzerrungen (wie übertriebenes Selbstvertrauen oder Verlustangst) führen an der Börse zu Fehlbewertungen. Die Dotcom-Blase und die US-Immobilienkrise haben gezeigt, dass sich Preise systematisch und vorhersehbar von ihren Fundamentaldaten entfernen können.

Die Wirtschaftswissenschaftler Werner F. M. De Bondt und Richard Thaler haben in ihren Studien zum "Overreaction Effect" gezeigt, dass Anleger auf Nachrichten überreagieren und sich Kurse danach wieder normalisieren – daraus lassen sich systematisch Überrenditen erzielen.

Bestes Beispiel: Donald Trump und seine Zollpolitik. Als der US-Präsident Zölle in Höhe von 50 Prozent gegen europäische Unternehmen verhängte, fiel der Dax um 2,8 Prozent, obwohl sich die Unternehmensbilanzen zum Zeitpunkt der Bekanntmachung nicht geändert haben. Damit sind die Kurse spekulativ gesunken und basieren auf vielen Annahmen, aber auf wenig Wissen.

Die Effizienzmarkthypothese gilt heute in der reinen Form als überholt. Stattdessen setzen sich differenziertere Ansätze durch, die Marktverhalten als Mischung aus Rationalität und Psychologie begreifen – insbesondere in der Behavioral Finance, der Verhaltensökonomik der Finanzen. Märkte sind oft nicht völlig ineffizient, aber auch nicht vollständig effizient.

Ja, was denn nun?

Wenn Anleger Aktienanalysten und ihre Kursziele sowie Kauf- und Verkaufsempfehlungen ignorieren – auf welcher Grundlage können sie dann gute Investitionsentscheidungen treffen? Damit wäre man bei der Kardinalfrage, die alle Marktteilnehmer umtreibt: Wann ist der beste Zeitpunkt, um eine Aktie zu kaufen? Selbst die besten und erfolgreichsten Investoren der Welt haben darauf keine Antwort, sondern nur Strategien, die darauf abzielen, aus jeder Situation die höchstmögliche Rendite herauszuholen.

Privatanleger mit einer langfristigen Perspektive von mindestens 10 bis 15 Jahren sollten es ihnen gleichtun und sich an soliden Fundamentaldaten und nachhaltigen Geschäftsmodellen orientieren. Dazu zählen die Bilanzkennzahlen eines Unternehmens wie Eigenkapitalquote, Verschuldungsgrad, Cashflow, Gewinnentwicklung und Dividendenhistorie. Wichtig ist aber auch die Bewertung der Wettbewerbsposition und der Marktstellung eines Unternehmens.

Eine klare Definition des eigenen Anlageziels (beispielsweise Altersvorsorge oder Vermögensaufbau) sowie der Aufbau eines breit gestreuten Portfolios über verschiedene Branchen, Regionen und Anlageklassen hinweg helfen dabei, das Risiko zu reduzieren. Die kurzfristigen Bewertungen und Empfehlungen von Analysten können als ergänzende Informationsquellen dienen, sollten aber nicht die Hauptgrundlage für langfristige Investitionsentscheidungen sein.

Ein systematischer, geduldiger Ansatz – idealerweise in Form einer Buy-and-Hold-Strategie – hat sich historisch als erfolgreich erwiesen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass das langfristige Halten von Aktien und breit diversifizierten Portfolios die stabilsten und sichersten Renditen bringt. Kurzfristige Marktschwankungen verlieren mit zunehmendem Anlagehorizont an Bedeutung.

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Wozu sind Analysten da?

Analysten spielen trotz ihrer oft kurzfristigen Ratings eine wichtige Rolle im Finanzsystem und sind keineswegs überflüssig – auch nicht für langfristig orientierte Anleger. Analysten sammeln, bewerten und verdichten große Mengen an Unternehmens- und Marktdaten. Sie bereiten diese Informationen so auf, dass auch weniger spezialisierte Anleger einen schnellen Überblick über Chancen und Risiken erhalten.

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Zudem tragen ihre Analysen dazu bei, die Finanzmärkte besser zu verstehen. Ihre Analysen führen dazu, dass alle Marktteilnehmer ähnliche Informationen haben – und dadurch kommen die Aktienkurse näher an den echten Wert eines Unternehmens heran.

Zwar besitzen auch Aktienanalysten keine Glaskugel und wissen, wie sich die Märkte in Zukunft entwickeln – doch sie schöpfen im Gegensatz zu Privatanlegern aus einem größeren Pool an Informationen, können viel schneller als andere Marktteilnehmer auf Marktineffizienzen hinweisen und so auch langfristigen Anlegern Impulse geben, etwa wenn eine Aktie deutlich unterbewertet scheint.

Verwendete Quellen

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